28.11.2009 - Lichttherapie

Die Jüngeren werden zweifelnd den Kopf schütteln, aber die Älteren unter uns werden sich vielleicht noch erinnern:

Es gab mal eine Zeit, in der die Sonne schien. Die Bäume hatten Blätter und das Gras war grün. Wäsche wurde trocken, wenn man sie draußen aufgehängt hatte, und man konnte tagsüber lesen, ohne die Innenbeleuchtung einzuschalten.  Die Windgeschwindigkeiten lagen deutlich unter 80 km/h. Es blieb oft über mehrere Stunden trocken, und wenn Regen fiel, war er warm und er fiel senkrecht, nicht waagerecht. Man konnte draußen vögeln
beim nestbau zuschauen. Leute brieten rohes Fleisch auf offener Glut, gingen am Strand spazieren, ohne vollständig in gelbes Plastik gehüllt zu sein. Frauen trugen kurze Röcke und Männer Shorts und Tennissocken in Sandalen.
Die Tage waren länger als die Nächte. Man hatte Eis im Caipirinha-Glas, nicht auf der Autoscheibe.

Man konnte fliegen gehen ohne Heizhandschuhe und Angora-Unterhosen. Die Luft war klar mit Sichtweiten deutlich über 200m und mild wie warme Seide. Man trug Sonnenbrille statt Sturmhaube, T-Shirt statt Winteroverall, Flip-Flops statt Moonboots. Man träumte sich in ein erfrischendes Bad in einen See weit unter den Füßen, statt zu hoffen, dass die Eisschicht dick genug ist. Man bekam Sommersprossen, keine Frostbeulen. Nach der Landung trank man ein erfrischendes Landebier, keinen heißen Punsch.

Man nannte dieses Zeitalter „Frühling“, und später „Sommer“. Schön war es, lang ist's her. Aber die Prophezeiungen sagen, dass einst wieder ein solches Zeitalter anbrechen wird.

Freunde, lasst den Kopf nicht hängen. Macht Euch einen Glühwein heiß, setzt Euch vor den knisternden LCD-Bildschirm und träumt Euch zurück in ein wundervolles Jahr 2009.

Einen schönen 1. Advent!

Frank

 

15.11.2009 - Prolog - oder “Wie ich zum Fliegenden Menschen wurde”

Sommer 1976

Ein paar Schritte Anlauf, dann bleibt der Boden unter mir zurück. Ab und zu muss ich mich noch abstoßen, wie zu einem großen Sprung. Doch dann gleite ich schwerelos über den Bürgersteig, über Straßen und Hausdächer, über Wälder und Wiesen, fliege... und erwache, muss realisieren, dass es ein Traum war, das ich meinen Weg am Boden fortsetzen muss, gefesselt von der Schwerkraft, mühsam Schritt für Schritt, jetzt noch ..

Winter 1980/81

Ich bin 14 Jahre alt. Es erscheint jemand in der Klasse, der von einer Arbeitsgemeinschaft* Segelfliegen erzählt. Auf dem Flugplatz Güstrow, meiner Heimatstadt. Organisiert von der GST**. Nicht, dass ich mich von dem paramilitärischen Jugendsportklub angezogen fühle, aber he: Fliegen!
Ich schreibe mich mit ein paar Mitschülern ein, und dann büffeln wir den Winter über, drei Monate lang jeden Samstag, jeden Sonntag, 4-6 Stunden auf den Bänken in den Baracken des Flugplatzes hockend,  die Theorie des Fliegens. Aerodynamik und Auftrieb, dynamischer Druck und Bernoulli, Profilsehne und Schwerpunkt, Strömungsabriss und Trudeln, Altostratus und Cummulunimbus, Venturidüse und Variometer. Das heiß ersehnte Frühjahr kommt und die praktische Ausbildung soll beginnen.  Nach bestandener theoretischer Prüfung wird plötzlich etwas von einem Zulassungsverfahren gefaselt. Die Namen der Praxisaspiranten werden verlesen, ich bin nicht dabei, ebenso zwei Mitschüler nicht. Ein Schock! Unverständnis! Wenig später kommen zwei unauffällig gekleidete Herren zu meinen Eltern, um den Grund zu erläutern: Westverwandte, Fluchtgefahr! Eine Oma lebt im Südwesten der Bundesrepublik, 750 km Luftlinie entfernt. Was für ein Schwachsinn. Alles erscheint mir absurd, lächerlich, entsetzlich ungerecht. Ein Traum ist geplatzt, Fliegen zu können ist unerreichbar, jetzt noch ..

Herbst 1996

In einer Bahnhofsbuchhandlung in Hamburg fällt mir eine Zeitschrift in die Hände, darin ist vom Drachenfliegen die Rede, vom Gleitschirmfliegen, von Fluggebieten in den Alpen und vom Fliegen an der Winde, von der Ausbildung zum Piloten, und es sind Adressen von Flugschulen verzeichnet.
Spärlich tropfen Informationen über das Internet Byte für Byte auf meinen Bildschirm. Ein Traum wird geweckt, wiedererweckt und eine Idee reift...

Herbst 1997

Unzählige Male bin ich in den Harz gefahren, zu Knut Jäger und seiner Gleitschirmschule, habe ich schlechtes Wetter ausgesessen und Theorie gebüffelt, unzählige Male bin ich den Übungshang rauf und runter gerannt, um ein paar Meter zu schweben, wenn ich die Beine einzog. Albträume habe ich gehabt, nächtelang im Traum Leinen entwirrt und sortiert. Jetzt stehe ich fertig eingehängt auf dem Butterberg, 70 Meter unter mir die Übungswiese. Ich ziehe den Schirm auf, laufe, und dann passiert es: plötzlich wird der Boden unter mir weggezogen, fällt zurück, und ich gleite, schwebe, fliege. Es ist exakt wie damals im Traum, man stößt sich ab und nichts ist mehr wichtig, außer das Jetzt.
Ich ziehe nur zaghaft an den Steuerleinen und lande auf den Knien in einem Rübenfeld neben der Landewiese, aber das ist egal, alles ist egal. Ich bin geflogen, und ich werde es wieder tun.

August 2007

„Wenn ich hier fertig bin habe ich Oberschenkel wie Godzilla“, sage ich zu Knut. „Ja, so wie meine Arme“, antwortet er lakonisch. Meine Oberarme hingegen sind ein einziger, blau-schwarzer Fleck. Ich bin nicht verschwitzt, ich sehe aus, als wäre ich in einen Bach gefallen.
Wieder ziehe ich das ganze Geraffel an, erst das Gurtzeug, dann den Motor, Rettung einhängen, Schirm einhängen. Ich fühle mich ungefähr so schwerelos, wie ein Tiefseetaucher aus den Frühzeiten der industriellen Revolution in seiner Messing-Rüstung an Land. Der Motor läuft, ich laufe, der Schirm kommt hoch, aber zu langsam, bricht aus, ohne dass ich es fühlen kann, Abbruch, Motor aus, Sch.., alles von vorn. Warum muss ich auch unbedingt mit meinem zickigen Cayenne fliegen, wo der Powerplay Sting, den mir Hubsi angeboten hat, viel leichter zu starten ist. Und was tue ich hier überhaupt, wo ist die Leichtigkeit und Stille beim Bergfliegen, wo ist die Schwerelosigkeit, das Surreale nach dem Abheben? Warum muss ich mich hier wie ein Schulbub rumkommandieren lassen, von diesen Freizeitpädagogen? Ich bin 41 und Ingenieur, ich fliege seid 10 Jahren Gleitschirm.
Aber im Herzen weiß ich es: Ich bin hier, um Fliegen zu lernen, neu und auf eine andere Art. Und es ist der einzige Weg für mich, es regelmäßig zu tun, und nicht nur ein paar Flüge im Jahresurlaub zu machen. Und am Ende, als ich nach 8 extrem intensiven Tagen die Prüfungen absolviert habe, bin ich stolz und dankbar. Knut und Hubsi und Peter hatten diese langen Tage mit ein paar ungeduldigen Flugschülern zu kämpfen, und umgekehrt, wir mit Ihnen. Und alle haben gewonnen!

September 2008

Es ist 9:30 Uhr, Campo di Volo San Teodoro auf Sardinien. Sanfter Seewind hat eingesetzt. Der Himmel sieht aus wie frisch gewaschen. Die Sonne scheint bei 24°C. Ich starte und der mit trockenem Gras bedeckte Boden fällt unter mir weg. Eine Rotte Flamingos startet links unter mir ebenfalls und fliegt dicht über das seichte, in Braun-, Grün- und Orange-Tönen schimmernde Wasser der Lagune, die direkt am Ende des Grasplatzes beginnt. Und dann sehe ich das Meer, diese unglaublichen Farben, dieses Blau, Türkies, sonnendurchflutetes, glasklares Wasser, strahlend heller Sand in mondsichelförmigen Buchten, umrahmt von Pinien, Eukalyptushainen und Schilf.
Ich weiß nicht wann das „Yeeeeahaaaaa“ erfunden wurde, aber es muss ein Moment wie dieser gewesen sein.

 

[Home] [News] [Photographie] [Blog] [Post-an-mich] [Links]